Kamen. Sie sind frustriert. Rebecca, weil sie angeblich zu jung für ihren Traumberuf Pflegekraft sei. Sven, weil er monatelang, immer samstags in aller Frühe, bei einem Discounter zur Probe arbeitete. Und den versprochenen Ausbildungsplatz zum Einzelhandelskaufmann dann doch nicht bekam. Lisa, weil sie nach 60 erfolglosen Bewerbungen der Mut und bald wohl auch die Hoffnung verlässt.^
Sie alle besuchen die Kamener Gesamtschule. Keiner von ihnen ist auf den Kopf gefallen, sie sind offen, herzlich, sie können sich ausdrücken. Und vor allem: Sie haben realistische Wünsche. Träumen tut hier schon lange keiner mehr. Die Zahlen sind auch ernüchternd genug: Nur fast jeder Zweite bekommt in Kamen einen Ausbildungsplatz.
Michael Brandt, an der Gesamtschule als Berufswahlkoordinator tätig, skizziert noch düsterere Aussichten: Von unseren 170 Schulabgängern hat nur ein Drittel eine Stelle, ein Drittel macht Abitur und ein Drittel geht zum Berufskolleg letzteres ist zwar besser als nichts, aber den meisten hilft es nicht weiter. Schon nach den ersten Sätzen wird deutlich: Auch Michael Brandt ist frustriert. Weil er nichts ändern kann, an einer Situation, unter der tausende Schulabgänger in Deutschland zu leiden haben. Wir haben ja keine Ausbildungsstellen, seufzt er.
Pünktlich zum bundesweiten Tag des Ausbildungsplatzes hagelt es seitens der Arbeitsagentur Hamm und des Jobcenters Kreis Unna heftige Kritik für die Unternehmen. Jeder dritte Betrieb in den Agenturbezirken Kamen und Unna, der ausbilden könnte, beschäftige derzeit keinen Azubi. Und dieses Drittel bildet ein beträchtliches Entwicklungspotenzial für die Region, erklärt Harald Küst, Leiter der Agentur für Arbeit Hamm. In dieselbe Kerbe schlägt Uwe Ringelsiep vom Jobcenter Kreis Unna: Die Unternehmen brauchen Fachkräfte und wissen, dass Ausbildung im eigenen Haus der beste Weg ist. Die aktuell schon rückläufige Zahl von Bewerbern lässt erahnen, wie schwierig die Situation wird, wenn sich der demografische Wandel in voller Größe zeigt.
In einem Fachgespräch beratschlagten nun jene Organisationen über mögliche Verbesserungen. Das bunte Durcheinander der Angebote und Maßnahmen müsse neu gebündelt werden und nach Möglichkeit vom Kreis gesteuert werden: Sie haben eine kommunale Koordinationsverantwortung, sagt Dr. Wilhelm Schäffer, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Integration und Soziales des Landes.
Dieser stimmt zu: Im Juni, das hätten Arbeits- und Schulministerium mit der Wirtschaft und allen beteiligten Akteuren vereinbart, soll in NRW ein neuer Ausbildungskonsens vereinbart werden. So soll es bereits ab Klasse 8 für jeden Schüler eine genaue Analyse der Fähig- und Fertigkeiten geben, dazu eine Berufsorientierung in mindestens drei Berufsfeldern, die mit Praktika verbunden sind. Für Jugendliche, die keine Lehrstelle finden, sollen die Berufskollegs vollzeitschulische Ausbildungsgänge mit hohen Praxisanteilen bieten. Und all das soll mit eigenen Geldressourcen, versteht sich vor Ort koordiniert werden. Seit Jahren wünsche ich mir das als Lehrer, sagte Vizelandrat Martin Wiggermann, das Übergangsmanagement ist doch bisher eine Vielfalt mit Schrecken.
Für Rebecca, Sven und Lisa dürfte diese Neuerung zu spät kommen. Auch die Frage, wer die Verantwortung für fehlende Ausbildungsplätze trägt, ist für sie zweitrangig. Für sie geht es um mehr. Es geht um ihre Zukunft.