Kamen.Am heutigen Donnerstag geht es im Rat um eine Grundsatzentscheidung zur finanziellen Zukunft der Stadt und um neue Lasten für die Bürger. In einem Interview erläutert Kämmerer Jörg Mösgen die Hintergründe. Das Gespräch führte Klaus-Peter Wolter.
Redaktion: Herr Mösgen, was soll heute im Rat konkret beschlossen werden?
Jörg Mösgen: Der Rat entscheidet über die Haushaltssatzung 2012 und das fortgeschriebene Haushaltssicherungskonzept (HSK). Untechnisch gesprochen geht es darum, dass der Rat die Weichen stellt, Kamen aus dem Nothaushalt zu verabschieden.
Wie hoch ist das jährliche Haushaltsdefizit, das nach ihrer Planung innerhalb von 10 Jahren ausgeglichen sein soll und wann wäre ohne diesen Schritt das städtische Eigenkapital verzehrt?
Die Planung bis 2022 ist so berechnet, dass der jährliche Verlust kontinuierlich auf 0 zurück geführt wird. Das alte und das neue HSK haben ein Einsparvolumen von rund 80 Mio. . Handeln wir nicht, ist das Eigenkapital in gut fünf Jahren aufgebraucht. Dann wären wir Ende 2016 pleite.
Was würde es bedeuten, den Nothaushalt zu verlassen?
Wenn der Rat dem überarbeiteten HSK zustimmt, dann hat die Kommunalaufsicht bereits signalisiert, dass sie das Konzept genehmigen werde. Schon ab der zweiten Jahreshälfte diesen Jahres entfallen damit die Restriktionen des Nothaushaltes. Der Rat erlangt wieder seine volle Entscheidungskompetenz. Wir müssen weiterhin sorgfältig planen und diszipliniert wirtschaften, können aber selbständig investieren und ganz wichtig, die Neuverschuldung in den Griff bekommen.
Schon jetzt liegt die Schuldenlast bei fast 100 Millionen Euro. Sind weitere Fehlbeträge überhaupt noch durch Kredite zu decken?
Kassenkredite und Darlehen betragen in Kamen jeweils rund 48 Mio. . Zur Zeit gibt es keine Schwierigkeiten die Finanzierung sicher zu stellen, obwohl die Banken immer zurückhaltender werden. Wir müssen alles tun, um die Verschuldungskurve umzukehren. Ich möchte nicht erleben, dass wir plötzlich keine Kassenkredite mehr bekommen.
Warum stehen gerade in NRW viele Kommunen vor einem solchen Szenario?
Trotz guter Konjunktur sind die Soziallasten von 2010 auf 2011 weiter angestiegen – in den NRW-Kommunen + 3,5 %. Das statistische Bundesamt hat gerade noch einmal bestätigt, dass wir in NRW bei den Sozialaufwendungen mit 733/Einwohner bundesweit an der Spitze stehen. Auf der kommunalen Ebene betragen die Aufwendungen für soziale Leistungen in NRW 13 Mrd. . Kein anderes Land ist annähernd stark betroffen. Das Problem besteht darin, dass der Bund den Kommunen die Erfüllung der Sozialleistungen gesetzlich überträgt, aber bei weitem nicht genug Geld dafür zur Verfügung stellt.
Ist es realistisch, noch auf Hilfe von Land und Bund zu hoffen?
NRW hat mit dem Stärkungspakt Stadtfinanzen die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit erreicht. Vom Bund erwarte ich derzeit auch keinerlei weitere Hilfe. Die Kommunen müssen sich jetzt selbst helfen.
Die Grundsteueranhebung macht den größten Posten in dem Gesamtpaket aus. Wieviel kostet das den einzelnen Bürger und warum wird gerade dieses Instrument gewählt?
Kein Mensch versteht die prozentualen Anhebungen oder rechnerischen Hebesätze. Wichtig sind die tatsächlichen Beträge. Geplant ist, die Grundsteuer in zwei Schritten anzuheben: 2013 und 2018. Für den Eigentümer eines Einfamilienhauses bedeutet das durchschnittlich pro Monat 8 und später zusätzlich 6 mehr, der Mieter im Mehrfamilienhaus muss mit einer Erhöhung von 3 sowie 2,50 rechnen.
Die Grundsteuer ist die einzige kommunale Einnahmemöglichkeit, die aufkommensstark und sicher ist und dabei auch noch möglichst gerecht. Bezieher von Transferleistungen (Hartz IV u.a.) sind gar nicht betroffen. Was wäre die Alternative? Die Gewerbesteuer? Nein, die ist konjunkturabhängig, daher nicht planbar. Größere Unternehmen können eine Gestaltung wählen, um ihren Sitz zu verlagern, dann haben wir mit Zitronen gehandelt. Und bei den Hebesätzen müssen wir aufpassen, dass wir unseren Betrieben die Möglichkeit erhalten, konkurrenzfähig zu bleiben.
Wie geht es weiter, wenn der Rat dem Sanierungsplan zustimmt?
Wir legen die Haushaltssatzung unverzüglich der Kommunalaufsicht vor, und ich denke, dass wir noch vor den Sommerferien mit der Genehmigung rechnen können.
Viel wichtiger finde ich aber die Frage, was passiert, wenn der Rat ablehnt. Dann heißt das nicht, dass es so weiter geht. Dann ist die Kommunalaufsicht gezwungen unverzüglich zu handeln. Was heißt das? Dann kommt die Aufsicht mit Sparvorgaben und Steuererhöhungen, und es ist ziemlich naiv zu glauben, es würde besser. Dann droht auch die Schließung von Einrichtungen wie Bücherei und Musikschule. Das können wir vermeiden, wenn wir – gemeinsam – einen realistischen Sanierungsplan auf den Weg bringen.
Drohen auf dem Weg durch die folgenden zehn Jahre neue Risiken?
Ich kann leider nicht hellsehen. Wir wissen nicht wie sich beispielsweise die Zinsen entwickeln. Wir haben konservativ geplant, um Überraschungen möglichst zu vermeiden. Ich habe aber wenig Verständnis, wenn man aus Angst vor möglichen Risiken den Kopf in den Sand steckt und sich jetzt der Verantwortung entzieht. Es nützt niemand zu sagen, was man nicht will, wenn man andererseits keinen tragfähigen Finanzierungsvorschlag als Alternative bietet oder öffentlichkeitswirksame Einsparmöglichkeiten im Hundert-Euro-Bereich anbietet.