Kamen. Manchmal sieht es keiner. Weil es nicht immer die blauen Augen und Flecken sind, mit denen Frauen Gewalt angetan wird. Gewalt ist oft unsichtbar. Und fügt Opfern auf emotionaler und psychischer Ebene genauso tiefe Wunden zu wie ein gezielter Schlag mit der Faust ins Gesicht. Flagge gegen jede Form der Gewalt an Mädchen und Frauen zeigten gestern zum inzwischen zwölften Mal engagierte Kamener unter Federführung der Gleichstellungsbeauftragten Martina Grothaus.
Gemeinsam hissten sie die Flagge Frei leben ohne Gewalt anlässlich des diesjährigen internationalen Gedenktages Nein zu Gewalt an Mädchen und Frauen. Im Jahr 2001 ließ Terres des femmes zum ersten Mal die Fahnen flattern: Damals war die Kamener Flagge eine von 1500, im vergangenen Jahr war es schon eine von 6300, erklärte Martina Grothaus. Mit Sima Samar, Monika Hauser und der 14-jährigen Pakistanerin Malala Yousafzair erinnerte sie daran, dass es immer wieder und überall auf der Welt engagierte Frauen gibt, die für die Rechte ihrer Geschlechtsgenossinnen einstehen und deutliche Signale setzen: Die Ärztin Sima Samar aus Afghanistan hat für ihren Einsatz, ihren Mut und ihre Entschlossenheit im Kampf für die Rechte der Frauen in ihrem Land den alternativen Nobelpreis erhalten, der Kölner Ärztin Monika Hauser verlieh Ministerpräsidentin Hannelore Kraft gerade erst für ihren herausragenden humanitären Einsatz in Kriegs- und Krisengebieten den diesjährigen Staatspreis des Landes Nordrhein-Westfalen und schließlich die Bloggerin Malala Yousafzair, die wegen ihres Einsatzes für Mädchenrechte Opfer eines Mordanschlags wurde und dabei lebensgefährlich verletzt wurde.
Mut und Entschlossenheit
Drei Beispiele für Frauen, die gegen Gewalt und für die Rechte der Frauen kämpfen. Frei leben ohne Gewalt sollte selbstverständlich für alle sein, auch und gerade für Frauen, die Flagge verhindert keine Gewalt, aber es ist ein Akt der Bewusstmachung, erklärte Bürgermeister Hermann Hupe. Dass frei leben nicht der Lebenswirklichkeit der Frauen entspricht, dafür stehen auch die Zahlen, die belegen, dass in diesem Jahr die Polizei 42 Fälle häuslicher Gewalt aufzeichnete, im Vorjahr 32. Neunmal gab es Wohnungsverweisungen durfte der Mann zehn Tage lang die gemeinsame Wohnung nicht betreten. Aber: Die Frauen werden mutiger und setzen sich zur Wehr. Dass sie es müssen, ist traurig, dass sie es tun, ist gut, sagte Hupe.
Doch bis dahin ist es für die meisten ein weiter Weg, der manchmal fast ein ganzes Leben prägt. Weil gerade die älteren Frauen oft das Schamgefühl zurückhält, andere um Hilfe zu bitten. Die Frauen, die zu uns kommen, sind zwischen 18 und 60 Jahre alt, sagt Martina Ricks-Osei, Leiterin des Frauenhauses. Und nicht jede ist Opfer physischer Gewalt gewesen. Die, die kommen, lebten manchmal völlig isoliert von Familie und Freunden, durfte keine Kontakte zur Außenwelt pflegen, nicht arbeiten gehen, hatten kein eigenes Geld, sind immer wieder beleidigt, eingeschüchtert und bedroht worden. Jede Frau hat ihre individuelle Schmerzgrenze und entweder sie machen diesen ersten Schritt und gehen, oder aber sie kehren wieder in ihre alte Welt zurück aus Angst, sagt Martina Ricks-Osei. Doch die, die bleiben und auch die, die wieder gehen, haben erfahren, dass sie nicht allein sind und notfalls immer Hilfe erwarten können.