Südkamen. WR-Leserin Felicitas Junker fühlt sich umgeben von Philosophen durchaus wohl. Schopenhauer, Schelling oder Feuerbach standen Pate bei der Benennung der Straßen in ihrem Viertel. Ihre eigene Straße aber schien so recht nicht zu passen. Wer oder was war Siegeroth? Die Antwort recherchierte zum Abschluss unsere Straßenserie Gästeführer Klaus Holzer.
Südlich der Südkamener Straße, zwischen der Bückeburger Straße und Schulze Berge, heißen viele Straße nach Philosophen: Auch Hegel, Fichte, Nietzsche sind so verewigt. Doch stößt der Spaziergänger auf Auf den Kämpen, Lütge Heide, Siegeroth. Und die südlich angrenzende Flur heißt Auf der Heide. Wie passt das zusammen?
In kleinen Städten kannte man sich
Große Städte wie Köln hatten auch im Mittelalter schon Straßennamen. Kleine Städte wie Kamen hatten das nicht nötig, hier kannte praktisch jeder jeden. Daher genügte eine bloße Nummerierung. Erst 1885 erhielt Kamen offizielle Straßennamen mit Hausnummern. Meist orientierte man sich an typischen Gegebenheiten einer Straße. Die großen Verkehrsadern stellten Verbindung zur Welt durch die Stadttore her. Entsprechend gab es die Nord-, West- und Oststraße, das erste Kamener Kreuz. Eine Südstraße brauchte es nicht, hier gab es die städtische Mühle als Orientierungspunkt. Und gleich hinter dem Mühlentor hieß die Straße Steinweg bzw. -straße, da sie als erste in Kamen gepflastert war, weil sie den direkten Zugang zum Hellweg ermöglichte.
Handwerks- und Gewerbegasse
Gassen innerhalb der Stadt spiegelten Handwerke und Gewerbe wider, die sich bevorzugt in direkter Nachbarschaft miteinander ansiedelten, z.B. Lämmergasse, Färbergasse, Gänsemarkt. Der Bleiche verhalfen die Leineweber zu diesem Namen. Sie mussten ihr frisch gewebtes Leinen auf die Bleiche bringen und zwar dort, wo es sauberes Wasser gab: im Mühlenkolk. Die Bleiche am Ostkamp dient also nur der Erinnerung an ein einstmals in Kamen blühendes Handwerk, gebleicht wurde dort nicht.
In den Randgebieten der Städte dienten oft alte Flurnamen der Orientierung. So erwähnt Konrektor Craemer 1929 in der Zechenzeitung der Schachtanlagen Grillo und Grimberg ein Ziegenröttchen bzw. Siggenröttchen. Ein roth/rodt oder röttchen (es gibt viele verschiedene Schreibweisen) ist ein Stück gerodetes Land. Alle Rodungsnamen sind sehr alt, da sie auf die Zeit zurückgehen, als man in ganz Europa in großem Stile daran ging, bewaldetes Land für die Landwirtschaft nutzbar zu machen, etwa ab dem 7. Jahrhundert.
Zusammen mit dem ersten Bestandteil (Ziegen, Siggen) ergibt sich somit die wahrscheinliche Bedeutung: gerodetes Land, auf dem Ziegen weideten. Die Südkamener Ortsheimatpflegerin Ursula Schulze Berge bestätigt diesen Gebrauch.
Nun ist ein Flurname selbst in heutiger Zeit an sich nichts Ungewöhnliches. Die Flur heißt Auf der Heide, ein Indiz für die Richtigkeit der Annahme, da eine Heide immer ein sehr karges Stück Land ist und Ziegen selbst dort noch etwas zu fressen finden; Lintgehr Keilstück auf einer Anhöhe; Lehmberge wo einmal eine Ziegelei war; Op de Worth erhöhte Hausstätte usw. Der Name Ostkamp greift die Lage auf. Der alte Flurname war laut Urkatasterkarte von 1827 Ostenkamp. Kamp kommt aus dem lateinischen campus für Feld, Gefilde. Also bedeutet der Name Ostfeld.
Während der Zeit des Absolutismus erhielten Straße oft den Namen von Monarchen. Mit Beginn der Industrialisierung begann man, ganze Viertel nach der Herkunft der Zugezogenen zu benennen: Bayern, Schlesier usw.
Die Nazis benutzten Straßennamen zur politischen Propaganda. Nach dem Krieg tauchten die Namen von Nazi-Opfern auf. Hinzu kamen Namen von Städten in den durch den Krieg verlorenen Ostgebieten.
Reiche Quelle für Heimatforscher
Zudem wurde es beliebt, unverfängliche Namen in einheitlichen Systemen zu vergeben: Bäume, Blumen, Vögel, Maler, Komponisten. Und im Zuge der Gleichstellung wurden schließlich Frauen bedacht wie zum Beispiel Gertrud Bäumer, Helene Lange und Elsa Brändström.
So erzählen Straßennamen viel über die Zeit, aus der sie stammen, und sind damit eine reiche Quelle für den Heimatforscher, manchmal angeregt durch die Beobachtung, dass Straßennamen offensichtlich nicht zusammenpassen.