
Der Kanzlerkandidat sagt, warum die Wahl noch längst nicht entschieden ist und warum es sich für die SPD lohnt, zu kämpfen.
vorwärts: Peer Steinbrück, die SPD setzt im Wahlkampf auf mehr PS. Wie viel PS werden wir bis zum Wahltag erleben?
Peer Steinbrück: Jeden Tag 100 PS mehr! Ich freue mich darauf, mit vielen Menschen unterwegs ins Gespräch zu kommen. Ich werde soziale Einrichtungen besuchen, bei Klartext Open Air Fragen beantworten und Tür-zu-Tür-Wahlkampf machen.
Wie soll die Aufholjagd im Wahlkampf gelingen?
Wir müssen die Menschen mobilisieren, die uns nahestehen. 1998 haben 20 Millionen Wähler die SPD angekreuzt, 2009 zehn Millionen. Viele sind in den letzten Jahren bei Wahlen zu Hause geblieben. Wir Sozialdemokraten müssen sie vor Ort ansprechen: Geht bitte wählen, denn die SPD will, dass es besser und gerechter zugeht!
Wie empfinden Sie die Stimmung bei den Auftritten im Wahlkampf?
Wo immer ich hinkomme: Ich treffe auf viel Offenheit und Neugier. Ich habe den Eindruck: Die meisten Menschen wollen sich nicht einlullen lassen von Parolen, es sei alles schon entschieden.
Vielen Wählern fällt es schwer, Unterschiede zwischen den Parteien zu erkennen. Was sind aus Ihrer Sicht die Alleinstellungsmerkmale der SPD?
Wir sind die einzige Partei, die wirtschaftliche Stärke und soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden kann. In unserem Regierungsprogramm steht nichts, was wir nicht halten können. Das gilt für den Mindestlohn, gleichen Lohn für Männer und Frauen oder den Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen, für den wir das unsinnige Betreuungsgeld abschaffen werden.
Warum wollen Sie Kanzler werden?
Ich will Bundeskanzler sein für alle, die für sich und andere etwas vorhaben. Für all die, die hart arbeiten. Die mehr Gemeinsinn suchen, um für sich und ihre Kinder ein besseres Leben zu schaffen. Für sie brauchen wir wieder Bewegung in Deutschland. Die schwarz-gelbe Regierung steht still. Sie hat kein Ziel. Sie tut nichts gegen Ungleichheit, Niedriglöhne und hochschnellende Energiepreise. Das will ich ändern.
Sie setzen auf Klarheit und Ehrlichkeit. Zahlt sich das für Politiker eigentlich aus?
Ihr müsst aussprechen, was ist das hat uns schon Lassalle mitgegeben. Die Bürger wollen wissen, woran sie sind. Frau Merkel unterfordert die Menschen. Sie spricht über Streuselkuchen, aber nicht über die Herausforderungen der Zukunft.
Die SPD sagt, sie will nur wenige Steuern für wenige erhöhen. Wer ist betroffen und was soll mit den Steuermehreinnahmen konkret geschehen?
Betroffen sind Spitzenverdiener und Besitzer großer Vermögen. 95 Prozent der Bürger werden davon nichts merken. Aber alle werden merken: Wir werden deutlich mehr Geld für Kinderbetreuung und Bildung ausgeben. Wir werden Straßen, Schienen, Breitbandnetze und bezahlbare Wohnungen sanieren und ausbauen. Und wir werden den überlasteten Gemeinden mehr Geld zur Verfügung stellen.
Wie soll mehr Wirtschaftswachstum entstehen?
Unter Schwarz-Gelb lebt Deutschland von der Substanz. Bei Investitionen liegen wir ganz am Ende der Industriestaaten. Wir wollen Wachstum schaffen, indem wir Bildung, Infrastruktur und Wohnen fördern. Wir schaffen Planungssicherheit für Unternehmen, z.B. durch eine Senkung der Stromsteuer, sodass sie in Deutschland investieren. Ich will eine Industriepolitik machen, die Industrie und Mittelstand Chancen eröffnet nämlich in der digitalen und energieeffizienten Wirtschaft von morgen Marktführer zu werden.
In den letzten Jahren gab es viele Investitionsstaus in der Infrastruktur. Wie will die SPD das ändern?
Wir werden die Mittel im Verkehrshaushalt um 20 Prozent auf jährlich 12 Milliarden Euro erhöhen. Wir werden die Energiewende besser managen: Wir brauchen mindestens 2800 Kilometer neue Hochspannungs-Leitungen. Ich werde dafür sorgen, dass eine Deutsche Netzausbau AG entsteht, wenn nötig mit staatlicher Beteiligung. Und wir wollen schnelles Internet in ganz Deutschland, damit Nutzer und Firmen nicht abgehängt werden.
Wodurch will die SPD wieder mehr Gerechtigkeit in Deutschland schaffen?
Ich höre oft, die SPD sei die Umverteiler-Partei. Ja, wir hatten in den letzten Jahren eine Umverteilung von unten nach oben. Gewinn-Einkommen und Managergehälter sind gewachsen, die Löhne haben nicht Schritt gehalten. Deswegen brauchen wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro oder mehr. Wir brauchen eine Veränderung der Abgeltungssteuer für Kapitalerträge. Und wir brauchen vor allem eins, ein Land, das allen Chancen gibt: bessere Bildung, damit nicht das Elternhaus allein entscheidet, wer in der Schule und Ausbildung erfolgreich ist.
Der Bund engagiert sich immer stärker, auch finanziell, in der Bildungspolitik. Dennoch wollen die Bundesländer weiter allein entscheiden. Kann das so bleiben?
Bildung ist zu wichtig, als dass wir uns in Zuständigkeitsfragen verheddern könnten. Deshalb treten wir für neue Formen der Zusammenarbeit von Kommunen, Ländern und Bund ein. Dafür müssen wir das Grundgesetz ändern. Und wir sorgen dafür, dass die vereinbarten nationalen Bildungsstandards umgesetzt werden.
Viele Bürger sorgen sich wegen der Rente. Was würde durch die Solidarrente der SPD besser werden?
Es gibt viele Menschen, die haben lange gearbeitet, aber wenig verdient. Für sie kommt der Mindestlohn zu spät. Wer lange in die Rentenkasse eingezahlt hat, dessen Rente soll nicht weniger als 850 Euro sein. Altersarmut darf nicht entstehen.
Sie haben Frau Merkel in der NSA-Affäre einen Bruch ihres Amtseides vorgeworfen. Kommt sie damit durch?
Die Kanzlerin hat geschworen, Schaden von den Deutschen abzuwenden. Aber es besteht der Verdacht, dass millionenfach Deutsche von ausländischen Geheimdiensten ausgespäht werden, dass Regierungsstellen und Firmen abgehört wurden. Frau Merkel sagt, sie warte auf Aufklärung und Kanzleramtsminister Pofalla erklärt die Affäre schon für beendet. Stopp! Die Regierung muss endlich sagen, welche Daten von uns abgeschöpft wurden und werden und was sie dagegen zu tun gedenkt.
Auch beim Thema Europa schenkt die Regierung Merkel den Bürgern keinen reinen Wein ein. Viele erwarten nach der Wahl neue Hilfsprogramme oder gar einen Schuldenschnitt.
Frau Merkel streut uns seit drei Jahren Sand in die Augen, wir hätten keine Haftungsunion. Dabei haben wir sie längst. Es ist an Frau Merkel, heute zu klären, was nach der Wahl kommt: Braucht Griechenland ein neues Hilfsprogramm? Wird sie zulassen, dass Banken direkt Geld europäischer Steuerzahler erhalten? Die Zeichen dafür verdichten sich. Auch hier gilt: Ehrlichkeit ist besser als Vernebeln.
Warum macht die SPD das nicht stärker zum Thema in diesem Wahlkampf?
Frau Merkel suggeriert: Macht euch keine Gedanken, ich habe alles im Griff. Alles Schwierige schiebt sie über den Wahltag hinaus. Da ist der Euro nur ein Beispiel. Und das müssen wir den Wählern sagen: Schaut genau hin, wer ehrlich und konkret Lösungen bietet oder wer nur versucht, seine Macht zu erhalten, und das ohne zu sagen wofür!