SPD-Regionalkonferenz in Kamen – Die kritische SPD-Basis an einem Tisch mit Andrea Nahles und Olaf Scholz

Kamen. Zwischenrufe von GroKo-Gegnern tönen durch die Stadthalle. Am Anfang der SPD-Regionalkonferenz, bei der Spitzenpolitiker für die Große Koalition (GroKo) werben, ist die Stimmung aufgeheizt. Draußen in der Kälte stehen derweil die Medienvertreter und warten auf Nachrichten von drinnen – die Öffentlichkeit ist bei dieser Veranstaltung ausgeschlossen. Die Diskussionen verlaufen dennoch größtenteils sachlich und respektvoll, wie auf Nachfrage viele Genossen auf dem Weg aus der Halle berichten.

Die SPD-Führung ist auf GroKo-Werbetour. Nach Regionalkonferenzen in Hamburg und Hannover kamen die designierte Parteichefin Andrea Nahles, der kommissarische Parteivorsitzende Olaf Scholz und NRW-Chef Michael „Mike“ Groschek nun am Sonntagmorgen auch nach Kamen – einziger Zwischenstopp in NRW.

Vor der Halle zeigten sich viele Genossen durchaus gesprächsbereit, wie zum Beispiel der Dortmunder Manfred Mertins. Der ehemalige Kumpel hat bereits 32 Jahre auf verschiedenen Zechen gearbeitet, hauptsächlich auf Gneisenau in Dortmund. Er ist bereits seit rund 50 Jahren SPD-Mitglied und entschiedener GroKo-Gegner, wie er sagt. Ihm sei es wichtig, „für die nachkommende Generation einen Neuanfang in der SPD zu schaffen“, sowohl auf personeller als auch auf inhaltlicher Ebene. Mit dem Team Nahles/Scholz sei der 70-Jährige zwar zufrieden, doch für ihn seien noch zu viele offene Baustellen im Koalitionsvertrag.

 

Diskussion mit der Spitze

Die Basis konnte nicht nur untereinander, sondern auch gemeinsam mit den Spitzenpolitikern diskutieren, die nach ihren Ansprachen von Tisch zu Tisch zogen, um sich mit den Genossen auszutauschen.

Das kam offenbar gut an, wie etwa die Kamenerin Bärbel Filthaut bestätigt: „Es ist gut, die Gesichter einmal so zu sehen und nicht nur im Fernsehen.“ Filthaut ist bereits seit 30 Jahren SPD-Mitglied und für eine GroKo. Sie sei „wirklich begeistert“ von den Diskussionen, gerade das Zuhören und Austauschen sei ihr besonders wichtig. Ihrer Einschätzung nach war die Lage in der Stadthalle sehr ausgewogen, es gab sowohl einige GroKo-Befürworter als auch -Gegner.

Ein Dilemma

Landrat Michael Makiolla hat nach eigener Aussage zwar für beide Seiten Verständnis, persönlich will er aber für eine GroKo stimmen – aus taktischen Gründen. Die Alternative, so erklärt es Makiolla, wären wohl Neuwahlen und das wäre für die SPD eine Katastrophe: „Dann werden wir Mühe haben, ein zweistelliges Ergebnis zu erzielen“, erklärt er. Es sei ein Dilemma, bei dem beide Positionen gut nachzuvollziehen seien. Er selbst habe auch sehr mit einer Entscheidung gekämpft und sich schließlich auf die Seite der GroKo-Befürworter gestellt. „Wir brauchen bald eine handlungsfähige Regierung“, begründet er seine Wahl.

Während die Genossen in der Halle diskutieren, stehen die Medienvertreter vor der Halle und warten auf Gesprächspartner. Von innen ist nur wenig zu hören, nur die laute Stimme von Andrea Nahles dringt auf den Platz – obwohl sie zur Zeit gesundheitlich etwas angeschlagen ist. Schließlich tritt Mertins vor die Tür. Er erzählt von interessanten Diskussionen, doch von der GroKo konnte ihn niemand überzeugen: „Ich habe mir da wirklich ein bisschen mehr Ehrlichkeit erhofft“, meint der 70-Jährige. Er ist enttäuscht davon, dass die Konferenz nur eine Werbeveranstaltung für die GroKo sei. „Die Nahles präsentiert das alles zu positiv“, meint er. Mertins hätte sich gewünscht, dass die Führung Fehler eingesteht, dass die Genossen offener über die negativen Seiten des Koalitionsvertrags sprechen. Er will weiterhin gegen eine GroKo stimmen und merkt an: „Nur durch Argumentation kann man keinen Menschen überzeugen, man muss die Texte selber lesen, um sich eine Meinung zu bilden.“

Quelle: hellwegeranzeiger.de, Philipp Stenger